Zu Beginn möchten wir dir gerne Hanna Radischewski vorstellen. Sie ist 28 Jahre alt und hat an der Fachhochschule Dortmund Soziale Arbeit
mit dem Profil Theater als Soziale Kunst studiert. Hanna wohnt zusammen mit ihrem Mann in der Altstadt von Arnsberg. Seit 2022 arbeitet Sie im katholischen Jugendbegegnungszentrum Liebfrauen (JBZ) hier in der Stadt. Im Oktober 2023 übernahm Sie dort auch die Leitung.
Was hat Sie dazu bewegt, Sozialarbeiterin zu werden?
Der Wunsch „etwas mit Menschen“ zu machen, wie man das immer so schön sagt, war schon relativ früh da. In meiner Schulzeit wollte ich gerne Lehrerin werden. Nach dem Abi habe ich dann erst einmal ein freiwilliges soziales Jahr in der OGS einer Sprachförderschule in Arnsberg gemacht. Das war ein richtig tolles Jahr und ich habe viel gelernt. Unter anderem auch: Mit jungen Menschen zu arbeiten, ist weiterhin mein Wunsch, aber Lehramt möchte ich nicht studieren. Das System Schule passte nicht zu meiner Vorstellung, wie ich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten wollte. Das habe ich dann in der Sozialen Arbeit gefunden, genauer gesagt in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, in der ich jetzt tätig bin. In diesem Feld hat man das große Glück, dass eines der Grundprinzipien die Freiwilligkeit ist. Alle Kinder und Jugendlichen, die zu uns kommen, kommen, weil sie es wollen und nicht, weil sie müssen. Das öffnet viele Türen! Was mich aber auch dazu bewegt hat, Soziale Arbeit zu studieren, war die Aussicht auf die Möglichkeit, meine Leidenschaften und Talente in die Arbeit mit
einfließen lassen zu können. Ich liebe Theater spielen, Zirkus , Tanzen, Malen und bin gut darin, Projektideen aus dem Boden zu stampfen und mit tausend Ideen zu füllen. All das kann ich in meine Arbeit einbringen – wie cool ist das bitte?
Was war das Besondere an Ihrem Weg zur Sozialarbeiterin?
Schon während des Studiums war für mich klar, dass ich später gerne in dem Jugendzentrum arbeiten möchte, in dem ich jetzt die Leitung habe. Einen richtigen Plan B, falls das nicht klappt, hatte ich nie so
richtig. Ich habe schon als kleines Kind sehr viel Zeit in diesem Jugendzentrum verbracht. Mein Papa hatte bis 2018 die Leitung des Hauses und so hatte ich glücklicherweise schon mit fünf Jahren die
Möglichkeit, Teil des Jugendzirkus Fantastellos zu werden. Der Zirkus ist eines der vielen tollen Projekte, die wir in unserem Jugendzentrum haben. Teil dieser Zirkus-Familie zu sein, hat mich mein Leben lang begleitet. Mit 14 Jahren konnte ich gemeinsam mit einer Freundin in Köln eine Zirkus-
Jugendleiter – Ausbildung machen und war ab da nicht mehr nur Teilnehmerin, sondern auch Trainerin. Wir hatten immer so viel Gestaltungsfreiheit, durften alles ausprobieren, haben große
Vertrauensvorschüsse bekommen und hatten stets Rückendeckung. Als mein Papa 2018 die Leitung des JBZ abgegeben hat, hat er auch die Leitung des Zirkus Fantastello niedergelegt und an mich und meine Freundin übergeben. Seitdem versuchen wir das, was uns damals selbst geschenkt wurde, immer an unsere neuen Jugendtrainer*innen weiterzugeben.
Wenn ich jetzt so auf meinen Weg bis hierher zurückschaue, sehe ich, was für ein großer Schatz dieses Jugendzentrum schon immer für junge Menschen war – weil die Mitarbeitenden die Jugendlichen auf eine ganz besondere Art und Weise wertschätzen und und das in ihnen sehen, was
sie selbst manchmal (noch) nicht sehen können. Um so stolzer bin ich jetzt natürlich, dass ich dieses Haus jetzt selber mit meinen Kolleg*innen mit Leben füllen darf und ein bisschen was zurück geben kann.
Sind Ihnen auf Ihrem Weg Herausforderungen begegnet?
Oh ja, auf jeden Fall. Eine riesige Herausforderung war für mich zum Beispiel, meine Bachelorarbeit zu schreiben. Nicht weil ich es fachlich nicht konnte, ganz im Gegenteil. Mir fehlte einfach die Motivation,
dieses letzte Stück noch durchzuziehen – obwohl ich ein wirklich tolles Thema hatte, über das ich schreiben konnte und das Studium an sich auch richtig super fand. In dieser Zeit habe ich verstanden, warum manche Menschen kurz vor ihren Abschlüssen ihre Ausbildung oder Studium abbrechen. Ich hatte wirklich das Gefühl, ich kann das auf keinen Fall anfangen und zu Ende schreiben. Unter keinen Umständen. Naja, da ich nun für dieses Interview schreiben darf, hat es am Ende offensichtlich doch
noch geklappt!
Eine immer präsente Herausforderung auf meinem Weg war und ist nach wie vor, dass ich immer wieder meinen eigenen, unterschiedlichen Schwächen begegne. Vor ein paar Jahren im Studium mit
der Bachelorarbeit, genau so wie heute, wenn ich mal wieder zum 27sten Mal meinen Schlüssel verlegt habe oder diese eine wichtige Rechnung nicht finden kann, die ich eben noch in der Hand hatte. Manchmal kann ich das aber schon gut akzeptieren und darüber schmunzeln.
Tatsächlich war die Übernahme der Leitung des JBZ ebenfalls eine große Herausforderung für mich und ist es auch nach einem Jahr noch. Die Menschen, die das Haus vor mir geleitet haben, sind mir
persönlich sehr wichtig und haben großartige Arbeit geleistet. Ihre Fußstapfen, in die ich nun trete, sind groß. Hier nun meinen eigenen Weg zu gehen und mir nicht mehr Druck als nötig zu machen, das
ist schwerer als ich dachte. Wer erwartet eigentlich wirklich etwas von mir und was sind „nur“ meine eigenen, unrealistischen Erwartungen? Kann und möchte ich diese Erwartungen überhaupt erfüllen?
Sowohl die der anderen, als auch meine eigenen? Wird das bevorstehende Gespräch wirklich so unangenehm, oder male ich mir im Moment schon Szenarien aus, von denen gar nicht sicher ist, ob sie so passieren? Davon immer wieder Abstand zu nehmen und durchzuatmen, vergisst man leicht im Alltag.
An welchen Orten und wie tanken Sie neue Kraft?
Das kann ganz unterschiedlich sein!
Wenn ich mehrere Tage mit sehr viel Verwaltungsarbeit verbringen musste, dann schöpfe ich Kraft aus der Arbeit im Offenen Treff und in unseren tollen Projekten. In der Arbeit mit den Jugendlichen muss man präsent sein, um sich ihnen ganz zuwenden zu können – sie haben die volle
Aufmerksamkeit verdient! Und das fegt mir oft den Kopf frei, denn dann ist kein Platz für die nächste Rechnung oder eine neue E-Mail. So wird mir wieder ganz klar, warum ich mich für diesen Weg und diesen Job entschieden habe und was meine Berufung ist. Das gibt mir Energie, auch die stressigen Phasen durchzustehen und meine eigentliche Aufgabe und Leidenschaft nicht aus dem Blick zu verlieren: Die Jugendlichen in den Mittelpunkt zu stellen und ihnen eine „Möglich-Macherin“ zu sein.
Manchmal brauche ich natürlich auch einfach ein bisschen Abstand von der Arbeit, selbst wenn ich sie so gerne mache. Am liebsten bin ich in einem kleinen Hafen in Akkrum, in den Niederlanden, in dem das kleine Segelschiff meiner Eltern liegt. In den Ferien waren wir immer schon entweder segeln oder campen und dieser Ort ist für mich jedes mal wie „nach Hause kommen“. Wenn man dort ankommt, weht der Wind und man hört die Enten, das Wasser und die Leinen an die Masten der Schiffe schlagen – das alles zusammen, ist mein absolutes Lieblingsgeräusch. An diesem Ort kehrt immer sofort Ruhe in mich ein. Und wenn ich nach Kraft und Erholung im Alltag suche, dann tun mir ein Spaziergang durch die Natur, eine lange Umarmung oder ein Buch und ein Cappuchino in meinem
Lieblingscafé sehr gut.
Was bedeutet Berufung für Sie persönlich?
Berufung bedeutet für mich, einen ganz tiefen Sinn in dem zu wissen, was ich tue. Manchmal kann ich das vielleicht gar nicht so genau benennen und in Worte bringen. Aber ich weiß, es ist da.
Berufung bedeutet für mich auch, eine innere Kraft oder Energie zu haben, die mich antreibt, lenkt und immer weiter machen lässt, auch wenn ich manchmal alles hinschmeißen möchte. Sie lässt mich darauf vertrauen, dass es gut ist, was ich tue und dass es sich lohnt, sich durch die schwierigen Zeiten durchzukämpfen. Sie ist wie ein kleines Licht, das immer leuchtet.
Was möchten Sie Personen mitgeben, die den Wunsch verspüren, ihre Berufung intensiver zu leben?
Da fallen mir sofort zwei Dinge ein:
1. Macht es! Es wird sich lohnen und euch erfüllen. Vor allem, wenn eure Berufung auch euer Beruf sein kann! Ich glaube, es kann einem nichts besseres passieren, wenn man seine Berufung auch zu seinem Beruf machen darf. Man verbringt so viel Lebenszeit auf der Arbeit, was für ein Glück ist es dann, wenn man in seiner Arbeit einen tiefen Sinn sieht und sie gerne macht. Vertraut auf euer Gefühl und lasst euch darauf ein.
2. Passt gut auf euch auf und findet Orte und Wege, wie ihr auftanken und abschalten könnt. Setzt eine Priorität darin, gut zu euch zu sein. Wenn man mit so viel Leidenschaft und Intensität bei der Sache ist, verliert man manchmal leicht den Blick für sich selbst. Und wenn man selbst ausbrennt,
dann kann man nicht mehr für etwas anderes brennen.
Du möchtest weiterhin über aktuelle Themen aus dem Team der Diözesanstelle Berufungspastoral informiert werden und Anregungen zur Gestaltung von Wort-Gottes- und Eucharistiefeiern für die monatlichen Gebetstage um geistliche Berufungen direkt per E-Mail erhalten? Dann melde dich jetzt zu unserem Newsletter an!