Zu Beginn möchten wir dir gerne Dr. Martina Aras vorstellen. Sie ist syrisch-orthodoxe Theologin und arbeitet seit fast vier Jahren am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn. Außerdem ist Sie an der Theologischen Fakultät als Referentin am Rektorat tätig.
Was hat Sie dazu bewegt, Theologie zu studieren?
Bereits in jungen Jahren beschäftigte ich mich aufgrund meiner biografischen Wurzeln mit Glaubensfragen: Meine Eltern mussten wegen ihres christlichen Glaubens ihre Heimat in der Südosttürkei verlassen und nach Deutschland fliehen. Als Christen konnten sie ihren Glauben nicht in Freiheit leben und waren leider auch Repressionen ausgesetzt. Ihre Geschichte prägte mich sehr und ich bewunderte ihren starken Glauben. Ich habe mich als junges Mädchen immer gefragt, ob ich auch so zu meinem Glauben stehen würde. Das hat mich zugleich dafür sensibilisiert, dass es keinesfalls eine Selbstverständlichkeit ist, den christlichen Glauben in Freiheit leben zu können, und mich dazu bewegt, Theologie zu studieren.
Was war das Prägende an Ihrem Weg?
Ich wuchs damit auf, meinen christlichen Glauben immer verteidigen zu müssen. Das war anstrengend, aber zugleich auch sehr prägend. Schon früh wurde mir aufgrund meiner dunklen Haare oft nicht geglaubt, dass ich Christin bin. Das machte mich sehr nachdenklich und leider hat sich daran bis heute nicht viel verändert. In Deutschland ist das Bild von einem „weißem“ Christentum weiterhin vorherrschend und bestimmt unsere Theologien und die Gestaltung von Kirche. Als BIPoC (Schwarze, Indigene und People of Color) spürte ich oft, dass ich benachteiligt behandelt wurde und dass es weiße Menschen als unangenehm empfinden, darüber zu sprechen. Ich übrigens auch. Aber „Your silence will not protect you“, heißt ein Essayband von Audre Lorde, in dem sie gleich in mehreren Texten die destruktive Kraft von (selbst) auferlegtem Schweigen herausarbeitet.
Zum Glück habe ich tolle Netzwerke und bin gemeinsam mit wunderbaren Menschen unterwegs.
Sind Ihnen auf Ihrem Weg auch Herausforderungen begegnet?
In meiner Jugend habe ich eine herausfordernde Krankheitsphase durchlebt, die mich zunächst zwar an meine Grenzen gebracht hat, durch die ich mich aber auch persönlich weiterentwickelt habe.
In solchen Zeiten lernt man, was wirklich wichtig ist und entdeckt möglicherweise neue Perspektiven auf das Leben und die eigenen Möglichkeiten. Es entsteht eine tiefere Wertschätzung für kleine Fortschritte und die Fähigkeit, sich selbst mit mehr Geduld und Mitgefühl zu begegnen.
Auch im späteren Leben bin ich auf zahlreiche Herausforderungen gestoßen. Insbesondere in der Theologie und der Ökumene. Als syrisch-orthodoxe Theologin trage ich eine besondere Doppelrolle: Ich bin die einzige Frau, die in meiner Kirche als Theologin tätig ist, und zugleich die einzige syrisch-orthodoxe Theologin im Erzbistum. Diese Konstellation bringt nicht nur große Verantwortung mit sich, sondern stellt mich auch vor außergewöhnliche Herausforderungen. Einerseits bedeutet es, in einer von Männern dominierten Struktur meinen Platz zu behaupten, andererseits, als Vertreterin einer Minderheit innerhalb einer anderen Konfession wahrgenommen zu werden. Während diese Rolle von außen oft als Pionierarbeit tituliert wird, ist es entscheidend, die weniger sichtbare Seite zu beleuchten: Die damit verbundene Arbeit erfordert außergewöhnliche Ausdauer, großes Engagement und den Mut, zahlreiche Kämpfe im Hintergrund zu führen, die selten wahrgenommen oder überhaupt als solche erkannt werden.
Was ist das Schönste in Ihrer ökumenischen Arbeit?
Das Schönste an meiner ökumenischen Arbeit ist, dass der ökumenische Dialog für mich immer ein Ort konkreter Solidarität ist. Hier begegnen sich Menschen unterschiedlicher Konfessionen, nicht nur, um theologische Differenzen zu besprechen, sondern um gemeinsam Verantwortung für unsere Welt und die Herausforderungen unserer Zeit zu übernehmen.
Ich sehe die ökumenische Arbeit auch als einen Raum, in dem kulturelle und konfessionelle Unterschiede Menschen nicht trennen, sondern sie einladen, voneinander zu lernen und gemeinsam zu handeln. Gleichzeitig sehe ich aber auch, dass die Ökumene trotz vieler Fortschritte in Richtung Diversität und Vielfalt noch vor großen Herausforderungen steht. Zwar wird immer häufiger über Integration, Gleichberechtigung und Pluralität gesprochen, doch bleibt die praktische Umsetzung dieser Ansätze oft hinter den Erwartungen zurück. Die Diskrepanz zwischen dem Anspruch, eine offene und vielfältige christliche Gemeinschaft zu sein, und der Realität, in der diese Werte häufig nur unzureichend verwirklicht werden, zeigt, dass noch viel Arbeit vor uns liegt. Diese Spannung zwischen Aufbruch und Stillstand macht die ökumenische Arbeit zugleich anspruchsvoll und zukunftsweisend.
An welchen Orten und wie tanken Sie neue Kraft?
Neue Kraft tanke ich an unterschiedlichen Orten und auf vielfältige Weise. In der Kunst entdecke ich neue Inspiration und Freude, mich kreativ auszudrücken. In der Literatur lasse ich mich von Worten und Geschichten berühren, die mich zum Nachdenken anregen, und die Natur ist für mich ein besonderer Ort der Erholung. Auch Gespräche mit guten Freunden geben mir neue Energie und Freude. Sie schaffen Raum für Austausch, Tiefe und manchmal für ein herzhaftes Lachen, das die Seele leicht macht. Doch ganz besonders finde ich Kraft in der Stille. Sie ist für mich ein Ort des Rückzugs und der Besinnung, wo ich innehalten, zur Ruhe kommen und mich neu ausrichten kann. Diese Momente der Stille helfen mir, mich mit dem Wesentlichen zu verbinden und gestärkt in den Alltag zurückzukehren.
Was bedeutet Berufung für Sie persönlich?
Berufung bedeutet für mich persönlich auf die Fragen zu antworten, die das Leben mir stellt. Viktor Frankl nennt sie die „Lebensfragen“. „Leben selbst heißt nichts anderes als Befragt-sein, all unser Sein ist nichts weiter als ein Antworten – ein Ver-Antworten des Lebens.“
Was möchten Sie Personen mitgeben, die den Wunsch verspüren, ihre Berufung intensiver zu leben?
Ich würde den Rat meiner italienischen Lieblingsautorin Susanna Tamaro weitergeben. Von ihren Büchern habe ich gelernt, dass das Herz das Zentrum unseres Lebens und unseres Geistes ist. Das Herz beschreibt sie als den Sitz und sogar als die Stimme des Heiligen Geistes. Sie plädiert mit ihrer Literatur an ihre Leserschaft „Folge der Stimme des Heiligen Geistes“, das bedeutet, in sich hineinzuhorchen, um die eigene Berufung zu erkennen und ihr zu folgen.