04.01.2024
Freiwilligendienst

Im Gespräch mit FSJler Ole Lingnau

Der heutige monatliche Gebetstag um geistliche Berufungen trägt die Intention " Junge Menschen, die ihre Berufung suchen“. Diesen Tag haben wir als Anlass genommen, um mit dem FSJler Ole Lingnau zu sprechen.

Zu Beginn möchten wir dir Ole Lingnau vorstellen. Ole ist 18 Jahre alt, wohnt in Dortmund und macht seit August 2023 ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Pfarrei St. Clara in Dortmund-Hörde. Im vergangenen Mai hat Ole mit dem Abi seine Schulzeit abgeschlossen und leistet eben nun einen Freiwilligendienst im pastoralen Raum. In der Pfarrei ist er vor allem in der Kinder- und Jugendarbeit tätig, begleitet wird Ole von Pastor Christof Graf. Seine Aufgabenschwerpunkte sind die Firmvorbereitung und der Glaubenskurs Alpha für junge Erwachsene und Jugendliche. Des Weiteren arbeitet er bei den Messdienern mit und engagiert sich in der Familienkirche.

 

Was hat dich dazu bewegt, ein Freiwilliges Soziales Jahr im Pastoralen Raum zu machen?

Die Entscheidung dazu hat für mich persönlich verschiedene Gründe gehabt. Der erste, sehr pragmatische Grund ist, dass ich schlicht und ergreifend nicht wusste, was ich nach dem Abitur mit mir anfangen sollte. Einfach nichts zu machen, kam für mich nicht in Frage, und nach 12 Jahren Schule zum Beispiel mit einem Studium direkt anzuknüpfen, ebenso wenig. Für mich war klar: Ich möchte etwas machen abseits von Lernstress oder Leistungsdruck, etwas, was mich weiterbringt, eine Tätigkeit, die mir Spaß macht und in der ich für andere Menschen etwas tun kann.

Zudem möchte ich die Freiheit, die ich als junger Erwachsener habe, nicht verschwenden, sondern erste Erfahrungen in einem Job sammeln, ein bisschen Geld verdienen und den Menschen durch meinen Einsatz in gewisser Weise etwas zurückgeben. Es geht nicht darum, irgendetwas für ein Jahr zu tun, sondern wirklich etwas zu bewirken, an einem Ort, wo ich durch meine Arbeit einen Unterschied machen kann. Eben nicht nur irgendeinen Job zu haben, sondern einen mit Sinn.

Des Weiteren ist mir wichtig, in der kirchlichen Gemeinschaft, die mir in den letzten Jahren immer wichtiger geworden ist, etwas verändern zu können, zum Besseren hin zu wenden, besonders im Einsatz für Kinder, Jugendliche und Familien. Denn ich glaube an die Kirche und den gelebten Glauben in Gemeinschaft. Unsere Kirche kann nicht besser werden, wenn wir uns alle von ihr abwenden, sondern wenn wir mit Einsatz dabeibleiben und auf unterste Ebene in den Gemeinden etwas wandeln, wenn wir den Glauben unter den Menschen lebendig halten und junge Leute dazu motivieren, sich für Gott zu öffnen, nämlich in einem respektvollen, wertschätzenden und nächstenliebenden Miteinander.

Seit etwas mehr als zwei Jahren fühle ich mich der Kirche und vor allem meiner Heimatgemeinde enger verbunden als je zuvor. Ich habe erst selbst durch die Teilnahme an der Firmvorbereitung zur Kirche zurückgefunden. Die Begeisterung, mit der viele andere Jugendliche ihren Glauben leben und von ihm erzählen, hat mich begeistert.  Mir wurde deutlich: Das will ich auch! Ich will Mehr und mich weiter engagieren als Ehrenamtlicher in der Firmvorbereitung, wo ich zusammen mit Pastor Graf, den damaligen FSJlerinnen und anderen jungen Engagierten Jugendliche auf das Sakrament der Firmung vorbereitet habe. Das war neben dem Abitur nicht immer leicht, es war mir aber wichtig und für mich eine Art Ausgleich. Zu wissen, dass es gut ist, was man tut, und dass die Arbeit einen Sinn hat, brachte mir große Erfüllung. Und wieso nicht das, was man mit Freude und Motivation nebenbei macht, als Hauptaufgabe für ein ganzes Jahr tun?

Ich kann nach einem halben Jahr im FSJ sagen, dass es die richtige Entscheidung war, mir diese Zeit zu nehmen, sie der Gemeinschaft, aber auch mir selbst zu widmen. Ausprobieren, wo persönliche Grenzen und Schwächen, aber auch Stärken und Talente liegen und als junger Erwachsener reifen und ankommen in der Welt nach der Schule, genau dazu ist das FSJ gut.

 

Was macht dein FSJ aus?

Was ich schnell gemerkt habe, ist, dass ich vor allem für viele Jugendliche ein Teil dessen bin, was für sie das Gesicht der Kirche ausmacht. Viele Firmlinge haben seit Jahren keinen Kontakt mehr zur Kirche. Sie leben unter den Eindrücken aus Nachrichten und Medien, haben teils berechtigte, teils unberechtigte Vorurteile über Kirche und betrachten uns als Institution skeptisch. Da bin ich häufig das erste Gesicht von Kirche, das diesen jungen Menschen begegnet, z. B. beim Infotreffen zur Firmung mit Jugendlichen beim Bäcker. Da steckt Verantwortung drin, aber da ist auch eine Chance zu zeigen, wie moderne Kirche lebt und was mit Kirche alles möglich ist. Dass diese Kirche nicht unfrei sein muss, sondern ein Ort ist, an dem junge Menschen zu Hause sein können, und zwar so wie sie sind. Es ist eine Chance zu zeigen, wie großartig es sein kann, im Rahmen von z. B. Jugend-Alphakursen mit Gleichaltrigen über Glauben zu sprechen und die eigene Spiritualität zu entdecken. Den Einfluss, den ich als FSJler, aber auch die anderen jungen Ehrenamtlichen haben, dürfen wir nicht unterschätzen. Wir Jugendlichen sind die Zukunft, auch die der Kirche.

Ich glaube, dass es das ist, was mein FSJ im Pastoralen Raum ausmacht: Ein Teil des Bilds der Kirche zu sein, ein winziger Teil im großen Ganzen, aber für die Jugendliche bei uns in der Pfarrei doch groß. Diese Verantwortung zu haben und sie nutzen zu können. Nicht um ein weiteres Mosaik im großen dunklen Bild des vielen Negativen zu sein, sondern um hell zu leuchten. Indem ich begeistert bin, junge Menschen willkommen heiße, sie dazu bringe, sich mit Gott und Glauben zu beschäftigen und anfangen, darüber ins Nachdenken zu kommen. Das hat großen Einfluss auf junge Menschen, auf ihre Orientierung in der Welt und im Glauben.

 

Gibt es Herausforderungen?

Die gibt es natürlich, auch wenn sich die Probleme und Schwierigkeiten in Grenzen halten. Was ich gemerkt habe ist, wieviel Arbeit und Gedanken, die ich noch als Ehrenamtlicher nicht mitbekommen habe, in vielen Sachen drinstecken. Das war eine Umstellung für mich, z.B.  bei den Abenden mit den Jugendlichen nicht einfach dabei zu sein und mitzuhelfen, sondern im Vorfeld den Abend und das Thema zusammen mit Christof Graf auszuarbeiten. Da steckt viel Arbeit drin, die man schnell vergisst und Energie in Anspruch nehmen, von Telefonaten mit interessierten Eltern bis zum Ausdenken von Warm-Up-Spielen. Starke Jugendarbeit und effektive Firmvorbereitung ist keine „Nebenbei-Aufgabe“, zwei Stündchen in der Woche, sondern echte Arbeit, aber das ist auch gut so. Immerhin haben wir den Anspruch, junge Menschen angemessen auf den Empfang eines Sakramentes vorzubereiten. Es ist ein Zeichen, dass wir die Jugendlichen und ihre Erwartungen an Veranstaltungen ernst nehmen. Der spirituelle Hunger junger Leute und ihr Drang nach Antworten, Gesprächen und Orientierung im Glauben ist nichts Nebensächliches, sondern muss von der Kirche wahrgenommen werden.

Doch es allen immer recht machen, können wir auch nicht. Im Gespräch mit Ehrenamtlichen wird immer wieder Kritik formuliert, z. B. an der Umsetzung des Alphakurses, so wie wir ihn in der Pfarrei für Jugendliche anbieten. Darüber sind wir dankbar und nehmen dieses Feedback ernst. Dadurch sehen wir, was wir überdenken müssen. Jedoch muss alles umsetzbar und realistisch sein. Das in Einklang miteinander zu bringen, fordert uns immer wieder aufs Neue heraus.

 

Kannst du schon sagen, wohin dein Weg nach dem FSJ führen wird?

Die Frage kann ich noch nicht beantworten. Aber ich hoffe, durch mein FSJ der Antwort näher zu kommen. Das FSJ nutze ich als Zeit, um pastorale Arbeit kennen zu lernen und herauszufinden, ob die Arbeit im kirchlichen Dienst etwas für mich auf lange Sicht ist. Zumindest kann ich mit Gewissheit sagen, dass die Arbeit im pastoralen Raum mir Spaß macht und mich erfüllt. Während ich vor zwei Jahr noch ausgeschlossen hätte, jemals für die Kirche hauptberuflich zu arbeiten, ist es jetzt definitiv eine Option, die ich ernsthaft in Betracht ziehe. In ein paar Monaten, dessen bin ich mir sicher, werde ich deutlich klarer auf die Frage antworten können.

 

An welchen Orten und wie tankst du neue Kraft?

Kraft und Zuversicht entspringen für mich aus der Begegnung mit anderen Menschen. Durch gute Gespräche und herzliche Begegnungen, aber auch im gemeinsamen Lachen schaffe ich es immer wieder, neue Kraft zu schöpfen. Das macht mir immer wieder deutlich: Du bist nicht allein! Da gibt es so viele Menschen, die auch Probleme, Sorgen und Nöte haben. Du musst da nicht alleine durch. Das ist für mich ein bekräftigendes Gefühl. Ich finde, dass viel zu häufig einfach nur nebeneinander vor sich hingelebt wird. Jeder lebt seinen Trott ungeachtet des Anderen. Aber das muss nicht sein. Kirche bedeutet Gemeinschaft, ein Volk Gottes zu sein, in dem jeder Hilfe und Unterstützung erhoffen und geben kann. Denn wer glaubt, ist nie allein.

Aber auch in der innigen Beziehung zwischen mir und Gott liegt eine Quelle neuer Kraft. Wenn ich sein kann, wie ich im Innersten bin, ohne jede Maske oder Verstellung, wenn ich einfach als ich selbst vor Gott trete und Ihn bitte, Ihn anflehe, Ihm danke oder wenn ich mit Ihm streite, dann kann aus jedem Gebet neue Zuversicht entstehen.

Die Hl. Messe habe ich zu schätzen gelernt und besuche sie regelmäßig. Vom Wort Gottes zu hören, die Bedeutung der Worte und Taten Jesu Christi für mein Leben ganz konkret zu verstehen, ist für mich sehr bereichernd. Die konkrete Gegenwart Christi in der Eucharistie und seine Liebe im Hier und Jetzt wahrzunehmen in der Gestalt von Brot und Wein und selbst in Hingabe an Christus gewandelt zu werden, steht für mich im Zentrum meines Glaubens.

 

Was bedeutet Berufung für dich persönlich?

Die Suche nach der eigenen Berufung ist ein Weg, den jeder von uns geht, aber das Großartige, und daran glaube ich, ist, dass niemand diesen Weg allein gehen muss. Dieser Weg dauert oft das Leben lang, aber wir gehen ihn immer mit Gott. Ihn zu hören, zu erkennen, wozu Er uns beruft, ist nicht immer leicht. Es ist ein Weg, der lange dauert und der es erfordert, zu fallen, neu anzufangen, Dinge auszuprobieren und wieder zu verwerfen, einen Weg einzuschlagen und wieder umzukehren.

Wir müssen lernen, tief in uns selbst hineinzuhören und zu reflektieren, die eigenen Fähigkeiten zu sehen und das, was uns als Menschen ausmacht. Die Frage nach der eigenen Berufung ist nicht bloß eine Frage nach dem künftigen Job. Sie geht unfassbar weit über das hinaus, weil sie unser ganzes Leben betrifft, aber auch Gott und sein Bild von uns. Gerade das ist der Punkt, der so Hoffnung spendend ist. Wir sind alle von Gott gewollt und unendlich geliebt. Er hat uns gemacht, wie wir sind – und so sind wir perfekt. Er hat einen Plan für uns, wir brauchen ihn bloß für uns zu entdecken. Diese tief in mir wohnende Überzeugung, das ist mein Glaube, der nicht nur ein Aspekt meines Menschseins ist, sondern mein Menschsein trägt.

 

Was möchtest du jungen Menschen mitgeben, die den Wunsch verspüren, ihren Glauben intensiver zu leben?

Mir haben die Erfahrungen in der Zeit meiner Firmvorbereitung die Augen geöffnet. Dass man sich mit Gleichaltrigen über seinen Glauben austauschen kann, war für mich absolut bereichernd. Es ist mit Sicherheit kein bahnbrechendes Konzept, aber mir war es neu, was ein solcher Austausch bewirken kann. Wir sprechen den ganzen Tag über alles Mögliche, aber wann unterhalten wir uns schon mal über Gott und den eigenen Glauben? Wie sollen wir denn im Glauben wachen und ihn intensiver leben, wenn wir nicht einmal über den eigenen Tellerrand hinausschauen? Manchmal mag es einem so vorkommen, als lebt man in einer Welt, in der man selbst glaubt, obwohl kein anderer glaubt. Aber das stimmt nicht. Ich bin der Überzeugung, dass in jedem Menschen die Sehnsucht nach Gott wohnt, weil wir so veranlagt sind, weil ein Teil des Göttlichen bereits in uns wohnt. Entdecken wir Gott jeden Tag aufs Neue und ein Stückchen mehr. Im gemeinsamen Gespräch und Gebet, aber auch im gemeinsamen Zweifeln und Hadern. Kommt miteinander ins Reden, sprecht über Gott, tauscht euch über euren Glauben aus. Keiner hat die gleiche Vorstellung von Gott. Kein Mensch betet genauso wie der andere. Aber wir alle sind dennoch geeint im Glauben an Jesus Christus – und in diesem Glauben ist keiner allein.

 

 

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